Serie 1 – Wie bereiten sich die Zentralbanken weltweit auf den Brexit vor?
Knapp drei Wochen vor dem geplanten Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union stimmen sich die Währungshüter der weltweiten Zentralbanken immer mehr auf einen No-Deal-Brexit ein. Angesichts der mehrheitlichen und parteienübergreifenden Ablehnung des lange verhandelten Brexit-Vertrags durch das britische Parlament und der Unfähigkeit der Regierung um Theresa May, einen Konsens zu finden, könnten sich die schlimmsten Alpträume der Zentralbanker bewahrheiten: Ein chaotischer Austritt aus der Europäischen Union, der nicht nur für Großbritannien selbst teuer werden dürfte.
Nun präsentieren die ersten Zentralbanken ihre Pläne, um ihre Volkswirtschaften vor den Auswirkungen eines turbulenten Austritts zu schützen. „Ob Bank of England, Fed oder die Europäische Zentralbank: viele Zentralbanken bereiten sich auf einen harten Brexit vor. Dabei konzentrieren sich die meisten Notfallpläne darauf, kurzfristig die Geldmenge zu erhöhen und die Zinsen künstlich niedrig zu halten“, sagt Marktanalyst Sascha Sadowski vom Online-Broker LYNX.
Im Vereinigten Königreich selbst haben Geldpolitiker der Bank of England darauf hingewiesen, dass ein No-Deal-Brexit zu einer Umkehrung der aktuellen allmählichen Normalisierung der Zinssätze führen könnte. Nachdem der Zinssatz nach dem Brexit-Referendum vom Juni 2016 auf den historischen Tiefststand von 0,25 Prozent gesunken war, hat die Bank of England den Zinssatz in der Folge zweimal wieder auf das aktuelle Niveau von 0,75 Prozent angehoben. Das ist der höchste Stand seit dem offiziellen Ende der großen Rezession im Jahr 2009. Gertjan Vlieghe, ein Mitglied des Monetary Policy Committee der Bank of England, kündigte kürzlich an, dass im Falle eines No-Deal-Szenarios eine Lockerung oder eine Erweiterung der Geldpolitik wahrscheinlich sei. „An den internationalen Märken geht man davon aus, dass die Bank of England bis Mai 2020 keinen weiteren Zinsschritt durchführen wird“, prognostiziert Sadowski daher.
Davon geht man offenbar auch in Kreisen der US-amerikanischen Federal Reserve aus. Dank der relativ starken Erholung der US-Wirtschaft in den letzten zwei Jahren konnte die Fed die Zinssätze viel schneller als die Zentralbanken der meisten anderen Länder anheben. Nach drei Zinserhöhungen im Jahr 2017 und weiteren vier im Jahr 2018 liegt die Fed Funds Rate nun bei 2,5 Prozent, ein gewaltiger Sprung, denn zwischen 2008 und 2015 hatte der effektive Zinssatz noch bei 0,25 Prozent gelegen. Dieser Trend wurde natürlich von mehreren Faktoren, wie eben dem Brexit oder der Abschwächung der chinesischen Wirtschaft begünstigt.
Trotzdem hat auch der Vorsitzende der Fed, Jerome Powell, kürzlich seine bisher stärkste Erklärung gegen die Fortsetzung der Normalisierung der Zinssätze abgegeben. Seine Begründung: Die Argumente für eine Anhebung der Zinssätze hätten sich abgeschwächt. Er enthüllte auch, dass das Federal Open Market Committee sich bereit erklärt habe, „geduldig“ in die Zukunft zu blicken“. Obwohl die Fed zuvor die Wahrscheinlichkeit von zwei weiteren Zinserhöhungen im Jahr 2019 angedeutet hatte, reagierten die Terminmärkte auf die Rede von Powell kaum. Hier geht man von keiner weiteren Straffung der Geldpolitik aus und sieht sogar geringe Chancen auf Zinsrückgang.
Die Europäische Zentralbank hat auf die Gefahr eines No-Deal-Brexit erwartungsgemäß reagiert, indem sie die verstärkte Integration der EU-Kapitalmärkte und die weitere „Vertiefung“ der Wirtschafts- und Währungsunion und des Binnenmarkts „über ihre finanzielle Dimension“ hinaus forderte. „Kürzlich wurden sogar Stimmen laut, die eine Erweiterung des makroprudenziellen Instrumentariums der EZB forderten. Das heißt nichts anderes, als dass sie die Möglichkeit erhalten soll, neues Geld zu schaffen und dem Finanzsystem zuzuführen, um so die Liquidität zu erhöhen“, weiß Sascha Sadowski. Mario Draghi deutete ja bereits an, dass Zinsanhebungen bis auf weiteres nicht geplant wären. Im Gegenteil: Es wurde sogar spekuliert, dass die EZB eine neue Runde von Konjunkturpaketen über billige Bankkredite starten könnte.
Auch die Währungshüter anderer Nationen bereiten sich auf den Brexit vor. Japan hat vor kurzem ebenfalls signalisiert, dass es möglicherweise weitere Stimuli seiner Wirtschaft initiieren wird, während Australien und Schweden angedeutet haben, dass sie ihre früheren Pläne zu Zinserhöhungen in den kommenden Monaten überdenken könnten.
„Nachdem wir in den letzten zehn Jahren künstlich niedrige Zinssätze und die geldpolitische Expansion der Zentralbanken erlebt haben, ist es nun kaum überraschend, dass auf dieselbe Politik als Reaktion auf einen No-Deal-Brexit zurückgegriffen werden soll. So reflexartig und blind diese pragmatischen Reaktionen auch manchmal erscheinen mögen, ist es wichtig zu bedenken, dass sie in der Mainstream-Wirtschaftstheorie auf einem eigenen intellektuellen Fundament aufgebaut sind und daher nur auf derselben Ideenebene wirksam bekämpft werden können. Um es mit Mark Twain zu sagen: „Wenn Dein einziges Werkzeug ein Hammer ist, dann wirst Du jedes Problem als Nagel betrachten.““, seufzt Sadowski. Für den Marktexperten besteht das Hauptproblem dieser Politik darin, dass die daraus resultierenden Probleme, wie die Schwächung der Währungen und die Verlagerung von Kaufkraft, immer noch unterschätzt oder gar ausgeblendet werden. Es bleibt also zu hoffen, dass doch noch eine Lösung des Brexit-Dilemmas gefunden wird – und die Pläne der Zentralbanken in den Schubladen verbleiben können.
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